Autowelt KRITISCH

Sonntag, Februar 04, 2007

Der neue Audi R8 - Blaues Blut oder Oligarchie à la nouveau-riche?

Nach der neulichen Trumpfkartenpartie der ams hat die Fachpresse endlich Gelegenheit bekommen tatsächliche Fahreindrücke mit dem neuen Audi R8 zu sammeln und ich versuche nun aus dem Sammelsurium einige Credi herauszuarbeiten. Mein Verdacht ist ja noch immer, dass man hier protziges Neureichen-Getue als blaues Blut angedreht bekommt...

"Zumindest bei den Stammtischwerten hat der R8 den Elfer im Griff"

Glaubt man der auto motor sport, so ist der R8 (mindestens) so "emotional" wie ein Porsche 911 (und dieser ist eigentlich bereits das Sinnbild für kühle deutsche Technokratie in Perfektion) und trotz seiner Fettleibigkeit - anderthalb Tonnen Lebendgewicht bei einem Mittelmotorsportwagen können nicht anders bezeichnet werden - flink wie eine Gazelle und "alles andere als ein Softie". Wenigstens sind sie von der Vorstellung abgerückt, dass der Audi in derselben Liga wie Ferrari spielen könnte (oder propagieren dies zumindest nicht mehr so offenherzig). Aber noch immer zieht der Audi den kürzeren, wenn er mit richtigen Sportwagen verglichen werden würde, hat sich doch die ams dieses Mal den einfachen 911 Carrera als Trumpfkartengegner ausgesucht - und wir alle wissen, dass schon ein Cayman S diesem gefährlich werden kann. Auch verwechselt man die vitrinenartig beleuchtete gläserne Motorabdeckung und die beim Anschalten der Zündung frenetisch zuckenden Zeiger mit Emotionen.

Zielsetzungen

Das Entwicklungsziel, den R8 im Hochgeschwindigkeitsbereich absolut beherrschbar zu machen, ist erreicht worden - darüber sind sich alle einig. Nur haben die wenigsten Tester auch Ahnung davon, womit diese erkauft werden musste. Beim aerodynamischen Setup steht der Konstrukteur immer vor demselben Dilemma: Downforce oder Zero-Lift? Ersteres erlaubt unverschämt hohe Kurvengeschwindigkeiten und absolute Kontrolle bei Lastwechseln, senkt aber gleichzeitig die Höchstgeschwindigkeit. Zweiteres gewährleistet Stabilität bei hohem Tempo, verlangt aber nach einer indirekteren Lenkgetriebeübersetzung und nimmt dem Wagen die Agilität in schnell aufeinander folgenden Kurven. Es sollte klar sein, was dem R8 somit angediehen wurde...

Beifahrer sind die besten Autofahrer

Hier gehen nun die Meinungen und Eindrücke allmählich auseinander. Die ams erkennt den Nachteil, den der Audi gegenüber dem Porsche hat, verschweigt aber, wie es dazu kommt. Die Jungs von Auto-News haben mal gar keinen blassen Schimmer von Autos, blasen aber irgendwelche todlangweiligen Fakten zur Technik und Produktion raus und halten das Handling für göttlich. Dummerweise haben sie bei dem Test ein Video gedreht und sich in absolut peinlicher Weise entlarvt (ziemlich verwackelt, weil ohne Stativ, Ausrufe vom Beifahrer und Kameramann wie bei der ersten Fahrt in einem Golf GTI als 15-jähriger - amateurhaft, gibt's auf youtube.com in Massen). Sie durften nämlich nur ein paar kleine Runden auf einem engen und mit Hütchen abgesteckten Parcours drehen, wo man weder den Wagen richtig ausfahren konnte noch sonst was, glaubten aber hinterher, alles gesehen zu haben und so liest sich der Bericht von ihnen auch.

Sprünge in einer makellosen Fassade

Die österreichische motorline.cc hält sich da lieber dezent bedeckt, ein Pluspunkt - denn worüber man nicht (qualifiziertes) sagen kann, darüber soll man schweigen. Stattdessen bekommt man bei ihnen eine insgesamt viel nüchternere Betrachtung des Themas. Schwächen werden deutlich: Quietschende Bremsen, spürbare Zugkraftunterbrechungen beim automatisierten Schaltgetriebe (nach wie vor ein Verbrechen am gepflegten Autofahren, sofern kein Getriebe von Ferrari verbaut wird), der von der deutschen Presse vielgepriesene Stauraum für bis zu zwei Golftaschen ist mit Vorsicht zu genießen und das Handschuhfach trägt seinen Namen einmal zu Recht...

Deutschland sucht das Supercar

Was lässt sich über den Motor sagen? Das hochdrehende Triebwerk, das auch im Audi RS4 Verwendung findet, glänzt mit einem weit nutzbaren Drehzahlband sowie einem sauberen Durcheilen selbigem. Was den Sound dieser Maschine angeht, wird er durchgängig als turbinenartig surrend beschrieben mit einem Hauch V8-Geboller - ein sehr inspirierendes Geräusch, es fehlt nur die besondere Note eines Porsche oder Ferrari. Oder anders ausgedrückt: Wenn der Audi ein Sänger wäre, dann hieße er Sasha - solide Stimme, gutes Repertoire von tief bis höher; ihn als schlecht zu bezeichnen wäre absolut lächerlich. Nur den Charakter eines Frank Sinatra oder Joe Cocker wird er nie haben. Dasselbe gilt letzten Endes für den Rest auch: Großartige Zutaten, makelloses Finish - doch ein Nachgeschmack - oder besser: kein Nachgeschmack, wegen der Sterilität, bleibt.